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Thomas Fritzsch, Viola da gamba Mitteilungen Nr. 60, Dezember 2005:

Fasziniert schaue ich auf die mit Viola da Gamba Concert: betitelte und von Christian Luswig Hesse eigenhändig geschriebene Stimme: Sorgfältig, aber eng beschriebene Blätter, trotz des enormen Schwierigkeitsgrades nur wenige eingetragene Fingersätze, ein Fetzchen obendrein mit zwei ausgeschriebenen Doppelkadenzen. Die Vorstellung, dass der Meistergambist daraus einstmals im gemeinsamen Musizieren mit Graun selbst gespielt hat, beflügelt die Phantasie. Die Aufgabenstellung aus diesen und zwei weiteren Manuskripten, die sich in ganzen Textpassagen, in zahlreichen Details und sogar in der Besetzung unterscheiden (Quelle 3 adaptiert den Gambenpart für Viola), eine praktische Neuausgabe zu erarbeiten, klingt fast wie eine Drohung. Edition Güntersberg hat sich zum Glück der mühsamen Arbeit gestellt, und das Ergebnis kann sich sehen und vor allem hören lassen!

Die Herausgeber folgen primär einem Manuskript, das Cristoph Henzel (Autor des Werkverzeichnisses der Gebrüder Graun) als "aus dem Umfeld des Komponisten" klassifiziert, und das erst seit seiner Rückkehr aus Kiew in die Bestände der Sing-Akademie zu Berlin erschlossen werden konnte. Nur in dieser Quelle finden sich zwei Hornstimmen zur Bereicherung der Tuttipassagen, die um 1800 von Carl Friedrich Zelter, dem damaligen Leiter der Sing-Akademie, in die Partitur eingfügt wurden. (Damit schuf Zelter eine interessante Parallele zum Gambenkonzert D-Dur von Grauns Lehrer Tartini, welches autograph zwei Tutti-Hörner beschäftigt.) Güntersberg hat die Hornstimmen in seiner Neuausgabe berücksichtigt, sie können aber ebenso gut ohne Schaden entfallen. In Fragen der Ergänzung vermisster Textpassagen, zur Vervollständigung der Artikulation und der dynamischen Bezeichnung erwiesen sich die beiden weiteren Quellen als unverzichtbar. Hesses Abschrift steuerte zudem die Generalbassbezifferung und - höchst selten überliefert - Kadenzen bei. Ein Vergleich der von Hesse zum Eigengebrauch gefertigten Gambenstimme (Darmstadt) mit der auf der heimgekehrten Sing-Akademie Quelle basierenden Druckversion offenbart Unterschiede. Auffällig sind vor allem die von Hesse dem Notentext der Gambenstimme hinzugefügten Terzen, Sexten und Füllnoten bei Akkorden. Es geht halt immer noch ein bisschen komplizierter... Mit Genugtuung können wir aber auch von des Meisters Hand entfernte Terzen bemerken. Weniger ist mehr? Vielleicht auf alle Fälle ist es menschlich. Also keine Angst vor den Fingerbrechern! Meister Hesse wusste sich auch schon zu helfen.